„Das Weinen des heiligen
Sebastian“ ist als historischer Spielfilm mit balladesken Motiven
gedacht. Er spielt sich im Jahre 1348 ab, als Europa gegen die bisher
größte Pestepidemie gekämpft hatte. Es besteht die Absicht, nach einer
möglichst authentischen Darstellung des Mittelalters zu streben und
einen spezifischen symbolischen Raum zu schaffen, in dem Vorstellungen,
Träume und kulturelle Archetypen so greifbarsind wie Wesen und Gegenstände. Dazu werden
auch zwei spezifische Schauplätze beitragen: eine Festung im ersten Teil
des Films und ein Wald in seinem zweiten Teil. Die Festung repräsentiert
Regeln und Sicherheit, der Wald stellt Labyrinth, Unsicherheit und
ständig vorhandene Gefahr dar.
Die Pest dient dem Film als
Quelle der Gefährdung, die Grenzsituationen schafft. Das Hauptthema des
Films ist die (besonders heute aktuelle) Rassen- und
Religionsintoleranz, aber vor allem der Hass, der als Zustand
wahrgenommen wird, in dem die Menschen ihre Selbstzerstörung betreiben.
Die Perspektive des Films ist weder politisch noch sozial. Die Schöpfer
des Filmes halten die Intoleranz für eine Frage, die mit jedem Menschen
verbunden ist. Die Helden machen sich auf eine sowohl physische als auch
geistige Reise, auf welcher die äußere mit der inneren Realität
verschmilzt und die Welt zur Spiegelung des menschlichen Inneren wird.
Die Absicht der Autoren besteht darin, im Gegensatz zu der heute
überwiegenden wörtlichen und dialogischen Tendenz, einen Raum für
illustrative Erzählung und wortlosen Ausdruck von Emotionen und inneren
Neigungen zu schaffen.
Die
dramatische Handlung konzentriert sich hauptsächlich auf zwei Mitglieder
des Niederadels, auf Siegfried, den Herrn der Festung, und Gottfried,
einen Ritter im Dienste des Bischofs. Aufgrund seiner Überzeugung
weigert sich der rational veranlagte Siegfried, die Verfolgung der Juden
als Ausdruck einer sinnlosen Barbarei zu akzeptieren. Gottfried erfüllt
hingegen die Befehle seines Herrn fanatisch. Jedoch unter Einfluss der
dramatischen Ereignisse werten beide Figuren ihre bisherigen
Einstellungen um. Nachdem Siegfried gedemütigt worden ist, wird er zu
einem unversöhnlichen Rachevollstrecker, während Gottfried seine
Erscheinung erlebt. Der Film zeigt also keine eindeutigen Typen vor und
macht nicht möglich, die Figuren auf der Grundlage vereinfachender
moralischer Kriterien einfach zu kategorisieren.
Ein Teil der künstlerischen Absicht ist es, einen starken Akzent auf die
Mehrdeutigkeit der Haupt- sowie der Nebenfiguren zu setzen, von denen
jede eine spezifische Lebensweise vertritt und sich widersprüchlich
benimmt. Deswegen ist eines der Merkmale des Films die
Kompositionsaufteilung in zwei Teile unterschiedlicher
Erzählperspektiven. Im ersten Teil des Films begleiten uns Siegfried und
seine Gefährten, im zweiten Teil wird unsere Aufmerksamkeit von ihm aber
abgelenkt und wir nehmen die Perspektive seiner Gegner ein.